Mittwoch, 13. Dezember 2017

Markus Stegmayr


Niederschwelligkeit” bei Gratis-Konzerten ist gescheitert
Geiz ist geil. Noch besser als billig ist gratis. Kunst darf alles, vor allem aber nichts kosten. Jahrhundertelang war die Kunst böse und auf der Seite der Mächtigen und Reichen. Jetzt hat sie sich endlich demokratisiert und ist für jeden zugänglich. Gratis-Konzerte und Gratis-Festivals sprießen in Österreich nur so aus dem Boden. Dass das so ist, verdanken wir der Idee der Niederschwelligkeit”.
Das Konzept dahinter ist einfach. Vor allem die Schwelle der Bezahlung wird dabei niedergerissen. Teure Konzerttickets sind passé. Um die imaginäre Schwelle zwischen Alltag und Kunstgenuss zu überschreiten, muss nicht mehr tief in die Brieftasche gegriffen werden. Damit fällt auch eine weitere Schwelle. Wer zu Gratis-Konzerten geht, lässt das, was dort geschieht, auf sich zukommen. Der Gratis-Festival-Konsument” ist ein Konsument des Schaun-Wir-Mal”. Er ist zwar grundsätzlich offen, begeistert zu werden, erwartet sich das aber nicht unbedingt. Wenn sich die Momente der Begeisterung nicht einstellen, dann ist zumindest nichts verloren. Schließlich hat man ja nichts bezahlt und im besten Fall dennoch ein paar nette Augenblicke im Freien mit Freunden und Alkohol verbracht.
Das macht etwas mit dem Werk, das rezipiert wird.

Seit jeher ist die Komposition und das Musikstück von Schwellen umgeben. Vor Jahrhunderten war es die Schwelle des Hofes. Wer dort nicht gerne gesehen war und keinen Zutritt hatte, etwa wegen fehlendem Adelstitel, hatte oft auch keinen Zugang zum Musikgenuss. Diese Schwelle gibt es, zum Glück, nicht mehr. Im Heute ist sie, zumindest im Bereich der
Hochkultur”, durch eine abgemilderte Form ersetzt worden. Der “Geld-Adel” bleibt immer noch gerne unter sich und schützt sich mit der Schwelle von hohen und allzu hohen Eintrittspreisen.

Eine weitere Schwelle, die es zu überschreiten gilt, ist das Musikstück selbst. Nicht jede Komposition und jedes Musikstück öffnet sich von selbst und ist selbsterklärend. Oftmals braucht es Kontextwissen, Vorbereitung und vorausgehende und intensive Hörarbeit”.
Beim Konzept der Niederschwelligkeit finden wir eine komplexe Situation vor. Alltag und Kunst-Situation” sind weniger getrennt als je zuvor. Gut möglich, dass man in Wien in den nächsten Tagen durch die Straßen läuft und auf ein Popfest” trifft, mit dem man gar nicht gerechnet hatte. Gut denkbar, dass man sich an einem lauen Sommertag dann hinsetzt und schaut, ob einen etwas fesselt und interessant vorkommt.
Der Kunstgenuss ist jedenfalls fragmentiert und durch die fehlende Bezahlschranke” grundlegend verändert. Der gerade spielenden Band wird weniger Geduld entgegengebracht. Sie muss sofort überzeugen. Spannungsbögen und Programme, die sich erst durch den gesamten Verlauf des Konzertes erschließen, haben es hier schwerer als in einer Situation, für die Geld bezahlt wurde. Wer bezahlt, hat sich meist bewusst für ein Konzert entscheiden. Mit dieser bewussten Entscheidung geht zumeist auch eine bewusste und aufmerksame Rezeption einher. Man hat ja bezahlt und möchte etwas bekommen, dass diesen Geldwert rechtfertigt.
Aber nicht nur der Kunstrezeption ist verändert. Auch das Publikum bei Gratis-Konzerten und Gratis-Festivals unterscheidet sich von dem bei Bezahl-Konzerten und Bezahl-Festivals. Das Publikum bei Letzteren ist, mehr oder weniger, homogen. Zumindest kann es sich aber in den allermeisten Fälle auf Erwartungshaltungen und Ästhetik-Vorstellungen einigen, die in der Konzert-Situation kompatibel sind.
Bei niederschwelligen bzw. schwellenlosen Gratis-Events ist das Publikum zutiefst heterogen. Die Erwartungshaltungen lassen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Das stellt die beteiligten Künstler, Programmgestalter und Bands vor Herausforderungen. Doch wie wird auf diese Herausforderungen reagiert? Meist mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. In vielen Fälle mit Stücken, Kompositionen und ästhetischen Konzepten, die als Allgemeingut gut und für die allermeisten Zuhörer sofort zugänglich sind.

Das New-Orleans-Festival in Innsbruck zeigt beispielsweise die Konsequenzen der sogenannten “Niederschwelligkeit”. Struktur und Aufbau der jeweiligen Songs müssen altbekannt sein. Der Blues ist da natürlich ein dankbarer Wegbegleiter. Neben Eigenkompositionen darf nicht auf Standards und bekannte Lieder vergessen werden, zu denen das Publikum mitsingen kann. Irritationen und musikalische Abenteuer sollten ausbleiben.
Ein paar Hundert Meter vom Landhausplatz entfernt gehen im Juli die “Innsbrucker Promenadenkonzerte” über die Bühne. Auch dort wird manchmal gemurrt, wenn es einmal zu anspruchsvoll werden sollte. Insgesamt hat man es dort aber in über zwanzig Jahren geschafft, eine einheitliche Ästhetik und Qualität zu etablieren. Das Publikum, obgleich nicht homogen in Wünschen und Ansprüchen, lässt sich zumindest auf gewisse Irritationen und Grenzüberschreitungen ein. Nur wenige verlassen bei akuter Überforderung der eigenen Hörgewohnheiten die Location.
Was sagt uns das? Wohl auch, dass wir der Gratis-Konzert-Schwemme skeptisch, aber nicht völlig ablehnend gegenüberstehen sollten. Ist das Konzept der “Niederschwelligkeit” gescheitert? Ja, zum Teil. Aber es gibt Hoffnung. Zumal dann, wenn man sich nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden gibt, sondern diesen immer wieder dezent, aber konsequent in Frage stellt und um zusätzliche Aspekte anreichert. Die Heterogenität des Publikums kann auch Chance sein. Die “Niederschwelligkeit” kann auch dazu führen, Menschen mit ihnen bisher unbekannten Kunstformen und Spielarten in Berührung zu bringen. Zumindest potentiell.

Sonntag, 10. Dezember 2017


Ohne überzeugenden Dirigenten nützt das beste Orchester nichts
Alois Schöpf denkt nach erfolgreichen 23. Innsbrucker Promenadenkonzerten
schon wieder weiter.


„Zunächst einmal bin ich sehr glücklich über die weitestgehend tollen Konzerte, die wir heuer erleben durften und die – trotz teils übertriebener Prognosen im Vorfeld – günstige Wetterlage, die wir im Juli hatten. Von 33 Konzerten waren nur drei vollkommen verregnet, zwei weitere teilweise, das ist ein sehr guter Schnitt“,  freut sich Alois Schöpf, künstlerischer Leiter der Innsbrucker Promenadenkonzerte.

Das Ziel, ein niederschwelliges Kulturangebot bei höchstem Anspruch anzubieten habe man jedenfalls erfüllt: „Wir heben uns dabei sicherlich positiv von anderen Events ab. Niederschwellig bedeutet nämlich nicht, dass man Trash anbietet oder dass Veranstaltungen Jahrmarkt- oder Bierzeltcharakter annehmen. Vielmehr geht es darum, bei freiem Eintritt und in einem ansprechenden Rahmen den Zugang zu hochwertigen kulturellen Inhalten zu eröffnen. Die Herausforderung, dabei eine entsprechende Programmdramaturgie zu anzubieten, ist für jedes Orchester eine Gratwanderung“, so der Intendant.

Zeit zum Ausruhen gibt es für Schöpf jedenfalls keine: „Die Planungen für 2018, wo wir unser Festival vom 2. bis zum 29. Juli bereits zum 24. Mal durchführen werden, sind im Prinzip abgeschlossen. Bis auf zwei Spieltage ist das Programm fixiert, wobei wir wieder Spitzenorchester aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, den Niederlanden und Slowenien sowie Großbritannien gewinnen konnten.“

Das Schlagwort „Qualität“ steht dabei einmal mehr im Mittelpunkt: „Die Forderung, dass Programme das Publikum verführen, mit Komplexem fordern, aber auch mit eingängigen Werken danach wieder versöhnen sollen, wird von uns mit noch mehr Nachdruck als bisher erhoben werden. Jedes Konzert soll dabei möglichst viele Epochen und Genres abdecken. Vor allem im Brass Band-Bereich sehe ich hier – trotz toller spielerischer Leistungen – noch Optimierungsbedarf. Gerade die Musik des Barock wäre für solche Orchester gut geeignet, aber auch Transkriptionen aus dem 18. oder 19. Jahrhundert können und sollen verstärkt einbezogen werden“, erläutert Alois Schöpf.

Neben den Programmen und den Orchestern selbst soll zudem auch mehr Wert darauf gelegt werden, entsprechende Dirigenten-Persönlichkeiten nach Innsbruck zu holen. „Wir haben es auch in diesem Jahr leider in mehreren Fällen wieder erleben müssen, dass tolle Orchester mit gut konzipierten Programmen beim Publikum nicht jene Wirkung erzeugt haben, die möglich gewesen wäre, weil die musikalischen Leiter nicht überzeugt haben. Wenn ein Dirigent Musik nicht wirklich vermitteln kann, wenn keine Energie, kein Esprit rüberkommt, dann kann er schlagtechnisch noch so sauber agieren, dann bleibt das Ganze eben einfach spröde bzw. fad. Das wollen wir eigentlich nicht mehr und es ist ja auch für die Orchester selbst schade“, merkt der künstlerische Leiter der Promenadenkonzerte durchaus kritisch an.

Zudem fehle teilweise die Leidenschaft, das lebendige Musizieren: „Bei jeder Konzertwertung – so wichtiger Maßstab diese auch sind – hören Sie als Dirigent beim Jurygespräch Ausführungen über technische Präzision, Transparenz, Klangausgleich, dynamische Breite und vieles mehr. Und zweifellos sind diese Kriterien wichtig, wenn man Top-Leistungen erbringen will. Es darf aber nicht passieren, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, dass also in dem Bemühen, allen einzelnen Kriterien Genüge zu tun das zentrale Element verloren geht: die Emotion“, gibt Alois Schöpf zu bedenken.

Auf diesem Weg will Schöpf dem Anspruch, Europas führendes Bläsermusik-Festival zu werden, einen Schritt näher kommen. „Wir hatten heuer einige wirklich phantastische Konzerte, etwa jenes des Tiroler Symphonieorchesters, das des Musikkorps der Bundeswehr, den Opernabend des Rovereto Wind Orchestra, den Beitrag des Musikvereins Hilgen  oder des Sinfonischen Blasorchesters Tirol, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Solche, mit Begeisterung beklatschte Abende wollen wir durchgängig anbieten“, so der Intendant. Dass hierbei die Luft für Amateur-Orchester enger wird, nimmt Alois Schöpf in Kauf: „Es gibt viele tolle Auftrittsmöglichkeiten für die diversen Formationen. Es ist aber nicht Aufgabe der Innsbrucker Promenadenkonzerte, jemandem eine Plattform zu bieten. Verpflichtet sind wir in allererster Linie unserem Publikum und dem sind wir es schuldig uns darum zu bemühen, dass jedes Konzert ein echtes Erlebnis darstellt.“